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Der Wert der Beobachtungsfähigkeit in Lebenskrisen

Beobachtung ist ein aktiver Geisteszustand, der es einem ermöglicht, das Leben und die Geschehnisse aus einer gewissen Distanz wahrzunehmen und objektiv einzuschätzen. Damit stellt die Fähigkeit zu beobachten eine essentielle Basisfähigkeit dar, um herausfordernde Zeiten gut zu meistern. Eben weil es so eine grundlegende und unscheinbare Fähigkeit ist, kann man deren Wert schnell unterschätzen.


Das folgende Beispiel soll den Nutzen, der durch Beobachtung entsteht, transparenter machen: steht man am Fuße eines Berges, zum Beispiel am Beginn einer Bergwanderung, so erscheint der Berg hoch und mächtig und man sieht nur die Seite des Berges, auf der man eben steht. Das soll die Perspektive eines Menschen verdeutlichen, der eine geringe Beobachungsfähigkeit hat. Man nimmt die Geschehnisse des Lebens eher subjektiv wahr und es fehlt einem der Überblick. Stünde man aber oben auf dem Gipfel, so hätte man den gesamten Berg im Blick und darüber hinaus alles, was den Berg umgibt. Zudem kennt jeder das gute Gefühl, das man bei toller Aussicht auf einem Berggipfel hat. Ähnlich verhält es sich natürlich, wenn man in einer Situation den Überblick bewahren kann - es gibt einem ein gutes Gefühl. Versetzt man sich innerlich kurz in diese beiden unterschiedlichen Perspektiven, so wird einem der Wert der Beobachtungsfähigkeit klar.


Psychotherapie in Lebenskrisen/ bei Anpassungsstörungen

Überträgt man das Gleichnis mit dem Berg auf die therapeutische Arbeit, so kann der Therapeut im Sinne eines objektiven, neutralen Beobachters Verhaltenstendenzen und Gefühle beim Patienten leichter wahrnehmen, als der Patient selbst. Man kennt das aus dem Alltag; jeder ist bezüglich sich selbst bei bestimmten Verhaltensweisen gewissermaßen blind, die für das Umfeld möglicherweise offensichtlich sind. Es ist eine Frage der Beobachtungsfähigkeit, die eine ganz neue Perspektive eröffnen kann. Nämlich eine umfassendere, objektivere Sichtweise auf die eigene Person und alles, was damit in Zusammenhang steht. Sieht man bestimmte Tendenzen aufgrund einer mangelnden Beobachtungsfähigkeit einfach nicht, weil diese sich vielleicht auf der nicht einsehbaren Seite des Berges befinden, so bleibt das Thema im Verborgenen und damit weiterhin unbewusst. Häufig müssen uns dann erst Lebenskrisen oder schwierige Lebenssituationen im Leben auf diese Themen aufmerksam machen, was in der Regel mit viel Leid verbunden ist. Schult man gezielt seine Beobachtungsfähigkeit, so kann man solche Konflikte/ Ereignisse im eigenen Leben frühzeitig erkennen, umgehen und reduzieren.


Alles im Leben hat seinen Sinn, auch wenn das nicht immer gleich offensichtlich ist. Lebenskrisen wollen uns aufmerksam machen auf bestimmte eigene, unbewusste Tendenzen, die uns an einem glücklichen Leben hindern. Bemerkt man diese jedoch durch eine gute Beobachtungsfähigkeit frühzeitig selbst, kann man Probleme von vorne herein vermeiden oder zumindest schneller lösen - der kluge Mensch löst Probleme, der weise Mensch vermeidet sie. Aus der Vogelperspektive hat man problematische Entwicklungen rechtzeitig im Blick und kann entsprechend darauf reagieren. Dabei dient die Beobachtungsfähigkeit wirklich als Basisfähigkeit, denn nur weil man eine Entwicklung im Blick hat, heißt das leider noch nicht, dass man darauf auch sinnvoll und angemessen reagieren kann.

Wie kann man nun diese Basisfähigkeit trainieren? Ein erster Schritt liegt in der Beobachtung der eigenen Gedanken. Der eigene Geist produziert ständig Gedanken, wie wir alle wissen. In diesem ständigen Gedankenstrom verliert man sich leicht selbst. In der Psychologie spricht man dann von einer Identifikation mit den eigenen Gedanken. Behält man aber wie in einer Vogelperspektive den Überblick über die ständig neu entstehenden Gedanken, so kennt man seine Gedanken und hat eine Wahl. Nämlich die Wahl, diese Gedanken als wichtig oder unwichtig, als wertvoll oder unheilvoll einzuordnen. Das folgende Zitat macht den Wert dieser Fähigkeit noch einmal klar:

"Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal."



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